Wer, wenn nicht wir
Erschienen: 12. Mai 2020
Seiten: 318
Verlag: Tinte&Feder/Amazon Publishing
ISBN: 978-2496703627
Inhalt
Nach mehr als zwanzig Ehejahren haben sich Viola und Florian auseinandergelebt. Außer den beiden Kindern, der gemeinsamen Wohnung und einem Trauschein gibt es kaum noch Berührungspunkte. In der Hoffnung, mit jemand anderem noch einmal neu anfangen zu können, trennen sie sich – einvernehmlich und vergleichsweise harmonisch.
Doch es gibt noch eine letzte Hürde auf dem Weg in ein neues Leben: einen längst gebuchten, teuer bezahlten Luxusurlaub, der sich nicht stornieren lässt. Die beiden haben nun die Wahl zwischen zwei Übeln: das Geld zu verlieren oder mit dem künftigen Ex-Ehepartner – in getrennten Zimmern – noch einmal zweieinhalb Wochen zu verbringen.
Allerdings ergibt sich plötzlich auch noch eine dritte Möglichkeit, und mit ihr beginnt eine unvergessliche Zeit auf Rhodos …
Was ich noch dazu sagen möchte
Jeder Roman hat für seinen Autor eine eigene Bedeutung und eine eigene Entstehungsgeschichte. Und manchmal hat diese Entstehungsgeschichte etwas mit dem vorangegangenen Roman zu tun. In diesem Fall war das so.
Nach Solange sie tanzen einen anderen, einen neuen Roman zu schreiben, war für mich unglaublich schwierig. Da waren zum einen die hohen Erwartungen, die ich an mich selbst hatte, aber zum anderen war da auch ein Gefühl, als müsste ich mich befreien. Vor allem von der Schwere, die ich beim Schreiben oft empfunden habe, weil Adas Geschichte so nah an mir dran war. Der nächste Roman, das war mir von Anfang an klar, musste vollkommen anders werden, leichter und heiterer. Man muss sich ja auch mal seelisch erholen, oder? Ein Roman zum Durchatmen.
Außerdem, auch das war klar, sollte es thematisch etwas behandeln, worüber ich noch nie geschrieben hatte: das Ende einer langjährigen Liebesbeziehung, das Ende einer Ehe. Und zwar ganz unspektakulär und lebensnah. Keiner wird betrogen, keiner wird verlassen, keiner ist schuld. Es ist einfach aus, weil der Alltag vieler Jahre seine Spuren hinterlässt und in diesen Spuren kann man sich verlieren.
So eine Geschichte wollte ich schreiben. Im Mittelpunkt ein Paar, das nicht zusammen alt wird, sondern sich auf halber Wegstrecke voneinander verabschiedet, nicht im Streit und im Groll, sondern einvernehmlich und überwiegend zivilisiert, allein schon wegen der Kinder und auch weil man sich immer noch mag – aber eben nicht mehr liebt. Man möchte frei sein für ein neues Leben, vielleicht mit jemand anderem.
Allerdings ist auch eine solche Trennung schmerzlich, und ich hatte nicht vor, das zu beschönigen. Wo also bleibt da die Heiterkeit?
Sie steckt, wie meist, in den menschlichen Schwächen. Zum Beispiel in Florians Macke, sparen zu wollen, wo immer sich die Gelegenheit bietet. Ein Schnäppchenjäger und Sparfuchs vom Feinsten. So kommt es, dass der lange geplante Luxusurlaub auf Rhodos nun nicht storniert werden kann, weil Florian sämtliche verlockenden Angebote mitgenommen hat, um den teuren Urlaub so günstig wie möglich zu halten. Es ist eine Menge Geld, das da durchs Fenster zu fliegen droht, deshalb überlegt sich das getrennte Paar, wie man die leidige Situation retten kann. Die Lösung: Entsprechend dem Beziehungsstatus wird auf getrennte Flüge und getrennte Zimmer umgebucht, so dass jeder vollkommen unabhängig vom anderen seinen Urlaub verleben kann. Man will sich aber natürlich grüßen, falls man sich mal zufällig über den Weg läuft. Das schon.
Der Schauplatz des Romans wird zum größten Teil nach Rhodos verlegt, weg von München. Auch eine Neuerung.
Warum Rhodos? Weil ich mit meinem Mann genau dort war, kurz nachdem ich Solange sie tanzen beendet hatte. Dort habe ich mir die ersten Gedanken gemacht über den nächsten Roman, habe sinnlos geplottet (plotten hat bei mir selten Sinn), mir Themen überlegt, Anfänge geschrieben, und zwischendurch sind wir über die Insel gefahren, haben alte Steine und schöne Buchten besucht, uns in Lindos durch die Touristenmassen gewühlt, uns über die Qual der Transportesel aufgeregt, am Strand gebrutzelt und uns über das unfassbar klare Wasser gefreut, haben geschlemmt und es uns gut gehen lassen. Na ja, es war zu heiß. Viel zu heiß. Nur im Tal der Schmetterlinge fanden wir etwas Abkühlung und dort hat sich auch das Ereignis zugetragen, das genau so in den Roman Einzug gefunden hat und das auf dem Cover abgebildet ist.
Manches sollte nicht passieren, aber wenn es dann passiert, ist es viel zu schön, um es nicht zu genießen. Das ist etwas, das ich von dort mitgenommen habe. Ein seltsames Gefühl, sehr zwiespältig, aber es war der Schlüssel zu Wer, wenn nicht wir.
Und es war der Schlüssel dazu, dass ich beim Schreiben Solange sie tanzen hinter mir lassen konnte, dass es mir nicht mehr um irgendeinen Zweck ging, den der neue Roman für mich erfüllen sollte, sondern dass es nur noch um Viola und Florian ging und um ihre Geschichte. Und ein Roman zum Durchatmen ist es trotzdem geworden.
Florian drosch auf die Bälle ein wie ein Irrer. Es gab keine bessere Therapie als Squash, draufhauen mit aller Kraft, dem Ball ausweichen, schnell sein, sich völlig verausgaben. Nur sein Partner war nicht ganz bei der Sache. Er stand noch unter Schock. Als Florian ihm von der Trennung erzählt hatte, war Albert buchstäblich die Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Was? Nein! Aber das gibt’s doch nicht!«, hatte er erschüttert gestammelt. Dann hatte er gestanden, dass Florian und Viola für ihn und seine Frau Sandra immer das ideale Paar gewesen seien, der Beweis dafür, dass es eine dauerhafte, glückliche Liebe noch gab. Albert und Sandra hatten ständig Probleme und waren, seit sie einander kannten, immer wieder am Rande einer Trennung entlanggeschrammt, hatten sich Hilfe bei Paartherapeuten geholt und an einem Workshop auf Mallorca teilgenommen, der Paaren dabei helfen sollte, einen harmonischeren Umgang miteinander zu pflegen. Achtsamkeit und gegenseitige Wertschätzung, so hatte man ihnen dort für viel Geld beigebracht, seien die Stützpfeiler einer jeden funktionierenden Paarbeziehung. Eine Woche nach dem Workshop hatten sie wieder im Clinch gelegen.
»Ihr wart immer so harmonisch«, resümierte Albert mit nutzlos herabhängendem Schläger. »Ihr habt euch ergänzt, als wärt ihr zwei Hälften eines Ganzen. Ihr wart wie füreinander gemacht. Und ihr habt euch doch so geliebt, nicht wahr?«
»Genau«, erwiderte Florian, mühsam beherrscht. »Wir haben uns geliebt. Vergangenheitsform! Es ist vorbei, Albert. Und wir waren auch nicht so harmonisch, wie es von außen ausgesehen hat. Können wir bitte einfach nur spielen?«
Seither quälte Florian die Bälle, während Albert depressiv in der Halle herumlief und ab und zu mal den Schläger gegen einen Ball hielt, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
»Entschuldige, Florian, ich stehe noch unter Schock. Ich kann das einfach nicht glauben.«
Warum um alles in der Welt reagierten alle so? Ihre Freunde, ihre Eltern, die Kinder. Was war da so schwer zu begreifen? Die Kinder, okay, die hatten jedes Recht, schockiert zu sein, die waren betroffen, aber Leo? Albert? Ihre Eltern? Tante Lu?
»Habt ihr nicht sogar schon Urlaub gebucht?«, fragte Albert, nachdem er einen Ball verschlagen hatte und dieser nun über den Hallenboden kullerte.
Florian schnappte sich den Ball, der Schweiß strömte ihm nur so übers Gesicht. »Ja, na und? Soll uns das daran hindern, uns zu trennen?« Er schmetterte den Ball mit voller Wucht gegen die Wand, der Ball hatte die Schnauze voll von dieser brutalen Behandlung, kam mit der gleichen Wucht wieder zurück und knallte Florian ins Gesicht. Im Reflex konnte er noch die Augen schließen, doch der Schmerz war so heftig, dass er das Gefühl hatte, sein Schädel würde explodieren. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden und Albert sowie eine Mitarbeiterin des Fitnesszentrums knieten neben ihm.
»Bleiben Sie liegen, Sie haben eine Platzwunde unterm Auge«, teilte ihm die hübsche junge Frau mit und drückte ihm einen kühlen Lappen aufs Jochbein. Florian hatte nicht den Eindruck, dass sie wusste, was sie tat, aber es fühlte sich nicht unangenehm an, wie sie ihm die verschwitzten Haare aus der Stirn strich und sanft auf seinem lädierten Auge herumtupfte. Trotzdem richtete er sich auf, denn er fand es ein bisschen entwürdigend, so vor ihr zu liegen.
»Geht schon. Ich bin Arzt«, brachte er benommen hervor. Was das eine mit dem anderen zu tun hatte, erschloss sich ihm zwar selbst nicht, doch die Frau schien den Zusammenhang zu verstehen. Einen Arzt, so glaubte sie wohl, umgab von Haus aus schon eine gewisse Unverwundbarkeit.
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