In all den Jahren
Erschienen:
28. September 2015
Seiten: 448
Verlag: Acabus-Verlag
ISBN: 9783862823703
Erscheint:
2. August 2021
Verlag Ullstein
Seiten: 512
ISBN: 978-3548063096
Inhalt
Elsa und Finn leben Tür an Tür in München. Sie sind Freunde. Beste Freunde. Und allen Zweifeln ihrer Umwelt, allen Versuchungen und allen Gefühlen zum Trotz, wollen sie das auch bleiben, denn schließlich enden die meisten Liebesbeziehungen doch in einer Trennung: Aus Nähe wird Besitzanspruch, aus Zuneigung Gleichgültigkeit und so weiter. Man kennt das.
Nein, Elsa und Finn wollen die bleiben, die sie sind, egal was auch passiert. Und es passiert so einiges, das ihre innige Freundschaft ins Wanken bringt, mal zur einen und mal zur anderen Seite hin.
Der Roman schildert auf humorvolle, spannende und bewegende Weise diese ungewöhnliche und tiefe Freundschaft über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinweg, ihre Höhen und Tiefen, komische, glückliche und dramatische Momente und stellt dabei immer wieder die Frage: Wie viel Liebe verträgt eine Freundschaft?
Was ich noch dazu sagen möchte
Ich schreibe viel, wenn der Tag lang ist. Früher, bevor ich veröffentlicht habe, habe ich immer wieder Texte angefangen, dann ein bisschen geschrieben, ein paar Seiten, und das Ganze dann beiseite gelegt, weil ich für den Moment nicht mehr wusste, wie die Sache weitergehen sollte. Mangelnde Routine und Erfahrung, mangelndes Durchhaltevermögen, auch ein bisschen mangelndes Selbstvertrauen, denn man muss sich auch zutrauen, dass man über diese Hürden hinwegkommt.
Solche kurzen angefangenen Texte lagerten (und lagern immer noch) zu hunderten auf meiner Festplatte. Ab und zu sehe ich sie durch, lese sie an und mache dann die Datei wieder zu.
Auf diese Weise bin ich damals auch über diesen anderthalbseitigen Text gestolpert, den ich etwa ein halbes Jahr zuvor geschrieben hatte, und der so begann: „Als ich ihn das erste Mal sah, war er nackt.“
Gleich dieser Anfang hat mich gepackt, als hätte ihn jemand anderes geschrieben. Ich las weiter und auch die beiden Protagonisten packten mich: Elsa, von der ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, dass sie Elsa hieß, und Finn, der nie anders hätte heißen können, und der auch heute noch meine Lieblingsfigur ist, in meinen eigene Romanen und in allen Romanen auf der ganzen Welt.
Ich war gefesselt von meinem eigenen Text, und das ist so ziemlich das Beste, was einem als Autorin passieren kann. Ich wollte wissen, wie es mit den beiden wunderbaren, sympathischen und so gegensätzlichen Menschen weitergeht und um das zu erfahren musste ich nur eins tun: weiterschreiben. Aber das war nicht schwer, denn auf diesen ersten anderthalb Seiten war und ist schon alles angelegt: die Geschichte einer großen Freundschaft und einer großen Liebe. Ich wusste nicht, wie es ausgehen würde, wirklich nicht. Mir ging es nie darum, die beiden doch noch zusammenzubringen, denn sie waren ja schon zusammen, auf eine ganz besondere Weise, die ich wunderbar fand und noch immer finde. Man muss sich nicht immer „kriegen“, vor allem nicht, wenn man sich schon längst hat.
Das Ende, so wie es im Roman steht, das haben die beiden selbst geschrieben, anders kann man es nicht sagen. Ich bin ihnen nur dorthin gefolgt, wo sie hinwollten.
„In all den Jahren“ wird für immer mein Lieblingsroman bleiben, das ist einfach so. Mit diesem Roman habe ich zu mir gefunden, zu meinem Schreiben, was im Grunde dasselbe ist. Mit diesem Roman, mit diesen beiden Figuren, habe ich den Mut gefasst, an die Öffentlichkeit zu gehen, und begonnen, an mich zu glauben. Egal, was in meinem Schreiberleben noch passieren wird, das, was mir „In all den Jahren“ gegeben hat wird einmalig bleiben.
Kapitel 1
Als ich ihn das erste Mal sah, war er nackt. Er klingelte an meiner Tür und sagte, er habe sich aus seiner Wohnung ausgeschlossen. Dann folgte eine umständliche und ausführliche Erklärung wieso und weshalb, und ich konnte die ganze Zeit nichts anderes denken als: Warum hält dieser Typ nicht die Hand davor? Also: davor.
Nachdem er seine Erklärungsversuche beendet hatte, stand er vor mir und wartete.
„Kann ich nun telefonieren?“, fragte er, und die Art, wie er es sagte, machte mir klar, dass es schon das zweite Mal war. Mindestens.
Ich stammelte etwas, das wohl wie Einverständnis klang, und er schob sich an mir vorbei in meine Wohnung. In der Diele entdeckte er mein Telefon und wählte eine Nummer, während ich vorsichtshalber neben der halboffenen Tür stehen blieb und mich bemühte, nicht auf seinen nackten Hintern zu starren.
„Ich bin’s. Ich hab mich ausgesperrt, kannst du mir den Schlüssel vorbeibringen? – Jetzt gleich wäre gut. – Alles klar, bis dann!“
Er legte den Hörer auf und grinste mit geschlossenem Mund. Damals wusste ich noch nicht, wie typisch dieses Grinsen für ihn war: Die Lippen fest aufeinandergepresst und die Mundwinkel weit auseinandergezogen. Das tat er immer dann, wenn er etwas zufriedenstellend erledigt hatte. So, das hätten wir, sagte dieses Grinsen.
Seine Arme hingen noch immer entspannt neben seinem Körper, und es schien ihm nicht im Traum einzufallen, dass es mir eventuell peinlich sein könnte, über die Größe seines Penis Bescheid zu wissen. Sicher, man wollte seine neuen Nachbarn – und offenbar war er ein solcher – gern kennenlernen, aber das gehörte nicht zu den Dingen, die man wissen wollte. Zumindest nicht als Allererstes.
Nun ja, es war das Erste, was ich über Finn erfuhr. Finn, das war sein Name, aber den fand ich erst später heraus.
Als ich nicht weiter reagierte – ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte – sagte er schlicht „Danke!“ und ging nach draußen ins Treppenhaus, wo er sich auf die oberste Stufe setzte. Die Beine lässig auseinander, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt.
Ich überlegte kurz, ob ich noch etwas sagen sollte, ihn nach drinnen bitten, einen Kaffee anbieten, irgendeine Art von Konversation betreiben, doch die Situation sprach dagegen. Die Situation, die durch den Mangel an Bekleidung seinerseits bestimmt wurde.
So schloss ich leise die Tür. Ich fand es angebracht, es leise zu tun. Ich hätte es noch angebrachter gefunden, mich in Luft aufzulösen, doch das war nicht möglich.
Drinnen blieb ich an der Tür stehen und lauschte, was ich selbst albern fand. Warum lauschte ich? Wollte ich herausfinden, ob die Nacktheit des Mannes irgendein akustischen Signal aussandte?
Es war nichts zu hören. Ich ging in die Küche und machte mir einen Tee, obwohl ich nie Tee trank. Was war das für ein Typ, der nackt bei seiner Nachbarin klingelte und sich nicht einmal die Hände vor sein gutes Stück hielt? Ein Exhibitionist? Aber dafür war er zu wenig ... exhibitionistisch gewesen.
Ich musste mir schließlich eingestehen, dass die Unverkrampftheit, mit der der Mann sein Schicksal trug und die Selbstverständlichkeit, mit der er sich Hilfe holte, mich mindestens genauso aus der Bahn geworfen hatten, wie der Anblick seines nackten Körpers.
War womöglich ich es gewesen, die sich lächerlich gemacht hatte? Hätte ich nicht genauso unverkrampft sein können wie er?
Die Antwort lautete: Nein. Wie sich später noch in unzähligen Situationen herausstellen sollte, war unser Kennenlernen symptomatisch gewesen. Er, der Entspannte, Lockere, den kaum jemals etwas in Verlegenheit bringen konnte, ich, die Verklemmte, Nervöse, der alles peinlich war.
Ich hätte zu gern durch den Spion nach draußen gesehen, doch dabei hätte ich mich vor mir selber geschämt. Also musste meine Neugierde leiden.
Später erfuhr ich, dass sein Bruder, der einen Ersatzschlüssel besaß und nur eine Straße weiter wohnte, vorbeikam und ihn erlöste. Ich hörte an diesem Abend nur noch ein paar Schritte auf der Treppe, einen knappen Wortwechsel, von dem ich nichts verstand und ein kurzes Lachen, dann fiel die Tür nebenan ins Schloss und mein kurioses Abenteuer war vorbei.
LESEPROBE