Versuchen wir das Glück

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Erschienen: 14. Februar 2017
Seiten: 272
Verlag: Amazon Publishing / Tinte & Feder
ISBN Taschenbuch: 978-1542048729

Inhalt

Als Helene und Ludwig sich zufällig am Münchner Hauptbahnhof in die Arme laufen, sind die letzten fünfundzwanzig Jahre wie ausgelöscht. Spontan gehen sie in ein Restaurant, und mit jedem Blick, mit jedem Wort, mit jeder Berührung werden die alten Gefühle gegenwärtiger. Unzertrennliche Verbündete gegen die Konventionen waren sie damals, verrückt nacheinander, voller Träume für die Zukunft – bis zum bitteren Ende ihrer großen Liebe. Denn vor dem letzten Schritt in ein gemeinsames Leben lag ein unüberbrückbarer Abgrund, tief in ihren Seelen verankert.

Aber manchmal reicht ein Nachmittag, um sich erneut die Frage zu stellen: Versuchen wir das Glück?

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Was ich noch dazu sagen möchte

Der Titel ist doppeldeutig zu verstehen. Doppelt doppeldeutig eigentlich.
Zum einen enthält er kein Satzzeichen am Ende, kann also als Frage oder als Aufforderung gelesen werden. Zum anderen wäre da die doppelte Bedeutung von „versuchen“: 1. etwas ausprobieren oder 2. herausfordern/in Versuchung führen.
Helene, die Protagonistin hat genau davor Angst: das Glück herauszufordern. Mehr noch: Sie misstraut dem Glück, und dazu hat sie allen Grund, wurde ihr doch im Kindesalter vor Augen geführt, dass mitten im größten Glück die schlimmsten Dinge geschehen können.
Auch Ludwig ist vom Schicksal gezeichnet, aber er ist jederzeit bereit, sein Glück zu „versuchen“. Die beiden ähneln sich wie ein Ei dem anderen und sind doch grundverschieden.

Wir lernen diese beiden Menschen gleich zweimal kennen. Einmal auf dem Münchner Hauptbahnhof im Spätsommer 2015 und einmal dreißig Jahre vorher, als sie sich zum ersten Mal begegnen. In der Gegenwart vergehen fünf Stunden, in der Vergangenheit fünf Jahre. Am Schluss beider Erzählstränge steht eine Trennung. Und es ist beide Male herzzerreißend. Und nein, damit verrate ich gar nichts, denn das Wesentliche ist das, was dazwischen liegt.

Helene und Ludwig begegnen sich „Zwischen Damals und Kolumbien“. So sollte der Roman ursprünglich heißen, bis ich dann fand, dass das als Titel zu schräg klingen würde und mir mit „Versuchen wir das Glück“ etwas eingefallen ist, das den Inhalt genauso auf den Punkt bringt.
Ludwig befindet sich auf dem Weg nach Kolumbien und begegnet seiner großen Liebe Helene fünfundzwanzig Jahre nach ihrer Trennung. Einen Nachmittag lang haben sie Zeit, sich neu kennenzulernen, das, was war, aufzuarbeiten, sich zu erinnern, Bilanz zu ziehen und sich über sich selbst und ihr Leben seit damals klar zu werden. Am Ende wird Ludwig abreisen, so viel steht fest. Und fest steht auch: Um das Glück zu versuchen, braucht man Mut.

(...) Der Zug hielt zwar noch, doch es wäre sinnlos gewesen, länger stehen zu bleiben. Sie ließ die Hand sinken und machte sich auf den Weg den Bahnsteig entlang zurück Richtung Bahnhofshalle, wo die Menschen mehr denn je hektisch durcheinanderliefen. Kaum passierte etwas Unvorhergesehenes, schon verwandelten sich alle in Kleinkinder, die die Hand ihrer Mutter losgelassen hatten und sie nun nicht mehr fanden. Die Menschheit war nicht reif fürs Erwachsensein.
Je schneller die anderen rannten, desto langsamer wurden Helenes Schritte. Sie hatte Zeit. Es wartete keiner auf sie. Sie hatte keine Termine. Sie hatte kein Ziel, das sie erreichen wollte, nur ein Zuhause, das ihr seit dem Auszug ihrer Tochter immer weniger bedeutete.
Wie gern hätte sie einen Grund gehabt, auch irgendwohin zu rennen, das richtige Gleis zu suchen, das sie dorthin bringen würde, wo sie hinwollte. Stattdessen bewegte sie sich zurück in eine Welt, in der sie feststeckte, und ging an dem Zug entlang, der in wenigen Minuten ihren Mann von ihr wegbringen würde, noch weiter weg, als er ohnehin schon war. Es gab keinen Grund zur Eile.
Vor ihr, auf dem Bahnsteig, fiel ihr ein Mann auf, weil er ebenfalls nicht rannte. Er war stehen geblieben, um zu telefonieren. Seine Reisetasche hatte er zwischen seine Füße gestellt. Er gestikulierte so heftig, dass die Leute, die an ihm vorbeigingen, einen großen Bogen um ihn machten, aus Angst, von seinen rudernden Armen getroffen zu werden. Der Anblick entlockte Helene ein Schmunzeln. Schließlich ließ der Mann sein Smartphone sinken, stöhnte sichtbar auf und steckte es in seine Jacke. Dann hob er seine Reisetasche auf und ging weiter.
Er hinkte.
Nur ganz leicht. Genau genommen war es nicht mehr als eine winzige Rhythmusverschiebung, die vermutlich die wenigsten Menschen bemerkten, aber Helene fiel es auf. Ein solches Hinken hatte sie früher schon einmal gesehen. Täglich.
In ihrem Inneren tauchte das Bild eines Jungen auf: ein brauner Lockenkopf, ein breites provokantes Grinsen, das die zu klein geratenen Eckzähne entblößte, und diese unglaublichen Augen. Helene hielt so abrupt inne, als sei vor ihren Füßen eine unsichtbare Wand aus dem Boden gefahren.
Sie sah dem Mann wie gebannt hinterher, suchte Anhaltspunkte, betrachtete prüfend seine Statur, die ganze Erscheinung: groß, schlank, die Haare kurz, braun – und gelockt.
War er es? Konnte das wahr sein?
Von hinten konnte sie es nicht sagen, vielleicht irrte sie sich.
Sie setzte sich wieder in Bewegung, ging immer schneller, schob sich an Leuten vorbei, rempelte sie an, murmelte Entschuldigungen. Dann hatte sie den Mann eingeholt, lief an ihm vorbei und atmete noch einmal tief durch, bevor sie sich mit tobendem Herzen zu ihm umdrehte und ihm ins Gesicht blickte. Plötzlich wurde alles still um sie herum, und auch in ihr war es still. Kein Geräusch, kein Herzschlag.
Solche Augen hatte nur ein Mensch auf der ganzen Welt.
»Ludwig?«
Er blieb stehen und betrachtete sie sekundenlang wie eine Erscheinung. Er erkannte sie sofort – diese kleine Person, ihr herzförmiges Gesicht mit den dunklen seelenvollen Augen und diesem Mund, der immer zu lächeln schien. Nie hätte er daran geglaubt, sie noch einmal wiederzusehen. Aber da stand sie vor ihm. Keine Erscheinung. Kein Traum.
»Lene?«
In der nächsten Sekunde verwandelte sich seine Miene, und sein Mund formte dieses Lächeln, das sie seit dem ersten Tag so an ihm geliebt hatte, dieses offene, strahlende und alles vergessen machende Lächeln, das sie fünfundzwanzig Jahre zuvor das letzte Mal gesehen hatte.
Mehr als die Namen brachten sie beide nicht heraus. Sie lachten einander an, als hätten sie auf diesen Moment nur gewartet, und waren so unfähig, den nächsten Schritt zu tun, wie man es nur war, wenn man nicht wusste, wie man an ein Leben anknüpfen sollte, das ein Vierteljahrhundert vorher stattgefunden hatte. Sollten sie sich die Hand reichen? Sollten sie sich umarmen? Sich die Hand zu reichen wäre lächerlich, und eine Umarmung …
Helene und Ludwig standen nur da und sahen einander an, so überwältigt waren sie von dieser Begegnung. Fünfundzwanzig Jahre …

© 2017 *Barbara Leciejewski*

LESEPROBE

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