Erschienen: 2. Oktober 2015
Seiten: 190
Verlag: FeuerWerke-Verlag
ISBN Taschenbuch: 978-3-945362-13-6 (mit altem Cover)
ISBN ebook: 978-3-945362-12-9 (mit neuen Cover)
INHALT
Wer sagte einem, dass es gut war, sich zu erinnern? Was, wenn die Erinnerungen selbst schlimmer waren als alles, was sie in den letzten Tagen durchgemacht hatten?
Würde man trotzdem die Erinnerung wählen?
Ein Mann und eine Frau erwachen zur gleichen Zeit an verschiedenen Stellen desselben Waldes. Beide ohne Gedächtnis. Sie wissen weder, wer sie sind, noch wo sie sind oder was passiert ist. Sie haben keinerlei Erinnerung an ihre Vergangenheit. Auf der Suche nach Hilfe treffen sie schließlich im einzigen Haus einer menschenleeren Gegend am Meer aufeinander.
Was wie ein Krimi beginnt, wird zu einer bewegenden Liebesgeschichte über zwei Menschen, die losgelöst von allem nur noch für den Moment und füreinander leben. Doch was geschieht, wenn eines Tages alle Rätsel gelöst werden, wenn die Vergangenheit zurückkehrt und wenn nur noch eine einzige Frage bleibt: Wie stark ist die Macht der Liebe wirklich?
Würde man trotzdem die Erinnerung wählen?
Was ich noch dazu sagen möchte
Vergiss nicht, dass wir uns lieben ist mein erster Roman. Und unter ‚mein erster Roman‘ verstehe ich, der erste, der rund war. Ich habe vorher viel Krempel geschrieben, vieles, was ansatzweise okay war, aber am Ende doch nicht erwähnenswert. Natürlich nicht, man lernt ja.
Mit Vergiss nicht, dass wir uns lieben habe ich zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn sich eine Geschichte fügt, wenn sie zu fließen beginnt, ganz natürlich und ohne Krampf, obwohl ich es damals noch wesentlich anstrengender fand zu schreiben als heute.
Der Roman unterscheidet sich stilistisch sehr von meinen anderen Romanen und ist eigentlich ein Dokument aus meiner Selbstfindungsphase, das zunächst in der Schublade (Festplatte heutzutage) bleiben sollte. Zumindest wusste ich damals noch nicht so recht, ob ich veröffentlichen sollte oder ob nicht. Und wenn ja, auf welchem Weg. Und so weiter.
Erst nachdem In all den Jahren schon seine Runde durch die Verlage machte, kam ich auf die Idee, den Roman noch einmal zur Hand zu nehmen. Nach ein paar Änderungen und ein wenig Überarbeiten (wie gesagt, man lernt ja) ging er auf die Reise, damals noch unter dem Titel Selbstvergessen.
Und kam zurück.
Der Roman hat scheinbar ein großes Problem: Er ist angeblich keinem Genre erkennbar zuzuordnen. Ich halte ihn ja für einen Liebesroman, denn es ist die Liebesbeziehung der beiden Protagonisten, die im Mittelpunkt steht, aber er fängt an wie ein Krimi und hält diese Spannung auch, was man für einen Vorteil halten könnte – Spannung ist doch gut oder nicht? – aber es ist ein Nachteil. Die großen Verlage wollen Eindeutigkeit.
Selbstvergessen wäre selbst in Vergessenheit geraten und zurückgekehrt in die Untiefen meiner Festplatte, gäbe es nicht den FeuerWerke-Verlag. Denen war das mit mit dem Genre Wurscht. Na ja, vielleicht nicht ganz Wurscht, denn sie müssen ihn ja verkaufen und angeblich wünschen sich Leser Eindeutigkeit beim Genre. Der Leser muss wissen, woran er ist. Die Leserin auch. Aber der FeuerWerke-Verlag hat gesagt: Für die Festplatte ist der Roman zu schade. Und da kann ich nicht widersprechen.
Also, liebe/r Leser/in, Vorsicht ist angebracht bei diesem Roman: Man denkt am Anfang, man ist in einem Krimi gelandet und dann sitzt man plötzlich in einer Liebesgeschichte, die immer noch von einem Geheimnis umwoben ist und davon bedroht wird, aber eben eine Liebesgeschichte. Aber das kann ich nicht ändern. Geschichten, wollen so erzählt werden, wie sie eben sind und welchem Genre sie zuzuordnen wären, ist ihnen dabei relativ egal. Wie im richtigen Leben: Da wechselt sich die Komödie mit dem Drama ab und der Krimi mit der Schnulze. Lachen, weinen, lieben, streiten, … alles da. Das Genre wechselt täglich.
Aber na schön, es ist ein Roman, und wenn jemand wirklich das Bedürfnis hat, ihn in eine Schublade zu quetschen, dann bitte in die, auf der ‚Liebesroman‘ draufsteht.
Der Wald
Wie war sie in diesen Wald geraten? Ja, ein Wald. Überall Bäume um sie herum, mit dichtem Laubwerk, Unterholz und rauem, steinigem Boden. Was tat sie hier? Sie sah sich um. Zu erstaunt, um schockiert zu sein. Erstaunt über die Erkenntnis, dass sie sich an einem Ort befand, den sie nicht kannte, und erstaunt über die gleich darauf einsetzende Erkenntnis, dass sie noch nicht einmal wusste, wer sie war.
Wer war sie?
Was?
Sie drehte sich und drehte sich, als ob ihre Umgebung ihr irgendeinen Hinweis geben könnte. Als ob die Bäume womöglich zu sprechen anfingen und sie bei ihrem Namen rufen würden.
Namen.
Sie wusste, dass es so etwas wie ‚Namen‘ gab. Sie wusste, dass die Bäume ‚Bäume‘ hießen und dass die Landschaft, in der sie sich befand, ein Wald war. ‚Landschaft‘, diesen Begriff kannte sie auch. Und jede Frage konnte sie formulieren: wer, wo, was, warum, wann?
Sie war nicht ohne Worte und Begriffe. Aber sie war ohne Namen und ohne Erinnerung, was sie selbst betraf. Ohne Vergangenheit, ohne Gegenwart. Familie? Freunde? Verwandte?
Und wie sah sie eigentlich aus? Wie alt war sie?
Wer war sie?
Sie betastete ihr Gesicht mit den Händen, sah an sich herab. Sie trug Kleider: eine Hose, ein T-Shirt, eine Jacke, Schuhe. Sie befühlte alles, roch an dem Stoff, an ihren Händen. Sie hatte sehr kurze Fingernägel. Waren ihre Hände schön? War sie schön? War sie hässlich? Sie hatte nichts, was ihr auch nur annähernd als Spiegel dienen konnte. Nur ihre Hände, die weiter über ihr Gesicht und ihren ganzen Körper tasteten. Zitternd, aber das war ihr nicht bewusst. Sie wusste auch nicht, wo die Nässe auf ihren Wangen herkam. Sie drehte sich und drehte sich. Sie fühlte keine Kälte und keine Wärme. War es Sommer oder Herbst oder Winter? Welches Jahr?
Warum war sie hier?
Ihre Stimme. Sie musste doch eine Stimme haben. Das zumindest konnte sie über sich herausfinden, was für eine Stimme sie hatte. War sie hell oder dunkel, war sie sanft oder rau, war sie zaghaft oder fest?
Laut. Ihre Stimme war laut. Und wenn irgendjemand sich in diesem stillen, großen Wald befand, musste er sie hören. Sie schrie um ihr Leben. Nicht weil der Tod sie bedrohte, sondern weil sie kein Leben hatte. Irgendjemand, irgendetwas hatte es ihr genommen. Alles. Alles, was ein Leben ausmachte, war ihr genommen. Nur ihre Stimme nicht. Ihre laute, kräftige, leidenschaftliche, markerschütternde Stimme schrie sich zurück ins Leben und wartete auf eine Antwort.
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Er lag.
Das war das Erste, was er spürte. Der erste Gedanke. Er lag. Nicht in einem Bett, nicht in einem Haus. Wo? Was war passiert?
Er bewegte sich nicht. Vielleicht konnte er sich gar nicht bewegen. Vielleicht hatte er einen Unfall gehabt, und nur der Schock verhinderte, dass er irgendwelche Schmerzen spürte.
Unfall? Schock? Schmerzen?
Er schlug die Augen auf. Kniff sie sofort wieder zu. Es war unerträglich hell. Die Sonne hatte genau über ihm einen Weg durch die Bäume gefunden. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Die erste Bewegung. Er machte die Augen erneut auf und sah, wo er sich befand, zumindest in welcher Umgebung. Ein Wald. Kein sehr dichter Baumbewuchs, ein wenig Gestrüpp, moosiger, erdiger Boden.
Er machte eine weitere Bewegung. Mit der Hand. Er bewegte die Finger und bekam dabei Laub, kleine Äste, Moos und Erde zu fassen. Er drehte den Kopf vorsichtig zur anderen Seite, sah sich an, was er in der Hand hielt. Ließ los. Sah auf seine beschmutzte Hand. Lange.
Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass ihm seine Hand so fremd war wie der Wald, in dem er sich befand. So fremd wie die Worte ‚Unfall‘ und ‚Schmerz‘, um deren Bedeutung er zwar wusste, mit denen er jedoch nichts verband. Kein Gefühl, keine … Erinnerung.
Sein Atem ging schnell, und etwas zog sich um seine Brust zusammen, als ob seine Kleider viel zu eng würden, als ob sein Körper viel zu eng würde.
Er sträubte sich dagegen, bäumte sich auf, rollte sich über den Boden. Er würde ersticken. Jetzt.
Nein.
Nein, nicht. Atmen.
Atmen.
Langsam. Ruhig.
Die Welt zum Stehen bringen.
‚Die Welt zum Stehen bringen‘. Wie kam er auf diesen Gedanken? Sein Atem beruhigte sich und der Druck ließ nach. Was war das?
Als hätte es ihm jemand in seinem Inneren zugeflüstert: ‚Du musst die Welt zum Stehen bringen.‘
Und das tat er. Seine Welt stand, und er war bereit, sie zu betrachten. Mehr als nur seine Hand. Er wusste, dass er nicht verletzt war, was auch immer ‚verletzt‘ heißen mochte. Mehr wusste er nicht.
Nichts.
Er sah sich um, er lauschte. Sah Bäume. Hörte sanfte Geräusche. Keines davon konnte er zuordnen. Nicht das gelegentliche Zwitschern der Vögel, nicht das leise Rauschen der Blätter.
Und da war noch etwas. Es war anders. Weniger sanft, weniger harmonisch. Einfach anders. Weit weg. Vielleicht. Er wusste es nicht. War es ein Tier? Gehörte es zu dieser Umgebung, in der er sich wiedergefunden hatte, oder war es ein Fremdkörper hier wie er selbst.
So empfand er sich, als Fremdkörper. Fremd.
Lange vermied er es, darüber nachzudenken, widmete seine Aufmerksamkeit dem, was ihn umgab, und nicht dem, was ihn ausmachte. Er ignorierte sich selbst auf absurdeste Weise. Bis es nicht länger ging. Bis es ihn zu sehr anstrengte, nicht daran zu denken.
Er kauerte noch immer auf dem Boden in einer Stellung, die ebenso unbequem wie unnatürlich war, halb sitzend, halb liegend, den Kopf geduckt, die Arme angewinkelt in einer Weise, die nicht verriet, ob er sich lieber verstecken wollte oder bereit machen zur Flucht wovor auch immer.
Er wartete.
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