Über mich – so etwas wie eine Vita
Geboren in Mühlbach, kleiner Ort in Rheinland-Pfalz, Westrich (da wo die Leute so sprechen wie Heinz Becker, der aus dem Fernsehen, der immer an Weihnachten kommt.) Schule, Abitur in der nahen Kreisstadt Kusel (da wo Fritz Wunderlich geboren ist, der große Tenor, Sie wissen schon. Hoffe ich doch.)
Studium (Literaturwissenschaft, Linguistik und Theaterwissenschaft) in München (da wo die ganzen Promis wohnen) Jobs am Theater (Regieassistenzen, Statisterie, Bühnengedöns – Vorhänge ziehen, Wände schieben, Türen öffnen, sowas) Studentenjob in der Verwaltung der Bundeswehrhochschule (Kennen Sie Stromberg? Das Ganze auf bairisch.)
Synchroncutterin geworden (Leuten auf die Münder schauen, Schauspielern sagen: ‚zu kurz, zu lang, da ist eine Pause’, den Ton zurechtschneiden, damit es so aussieht, als spräche George Clooney deutsch, und noch ein paar andere Sachen, aber das führt zu weit)
Familie gegründet, aufgehört auf Münder zu schauen, angefangen zu schreiben, am schwarzen Loch in meiner Vita gebastelt, weitergeschrieben, veröffentlicht.
To be continued …
Update 2022
Vor einem Jahr hatte ich an dieser Stelle geschrieben: Es ändert sich nichts.
Heute möchte ich das noch einmal bestätigen. Es ändert sich nichts – auch wenn sich alles ändert. Auch wenn man seinen Namen wochenlang auf der Bestsellerliste gelesen hat, auch wenn man beim größten Leserpreis des Landes (sagt Wikipedia) in seiner Kategorie den ersten Platz erreicht hat, auch wenn man allmählich das Gefühl hat, man hat sich halbwegs etabliert. Am Ende sitzt man doch wieder vor seinem Word-Dokument und schreibt den ersten Satz und hofft, dass man irgendwie in der Lage sein wird, die nächsten 400 Seiten zu füllen. Mit etwas, das Leser lesen wollen und das ihnen etwas gibt, selbst wenn es nur ein paar unterhaltsame Stunden sind. Unterhaltung ist nicht das Schlechteste. Und ab und zu schreiben mir Leute, dass ihnen meine Romane sogar noch mehr gegeben haben. Das sind dann meine glücklichsten Momente. Aber immer beginnt alles beim ersten Satz, immer am Anfang und immer wieder. Es ändert sich nichts.
Ganz persönlich
oder
Die Geschichte meiner Geschichten
Auf meiner früheren Webseite habe ich an dieser Stelle von meinem ersten „Roman“ erzählt, den ich im Alter von zwölf Jahren schrieb, diesem sehr naiven, sehr kitschigen Liebesgedöns auf etwas mehr als 40 karierten DinA5-Seiten mit dem magischen Wort Ende darunter. Diesen Roman gab es tatsächlich und es gibt ihn noch heute, wie man sieht.
Aber die eigentliche Magie hat schon viel, viel früher angefangen.
Meine erste Geschichte habe ich dem kleinen Bruder meiner damals besten Freundin erzählt. Ich war fünf und er war vier. Es war Kindergeburtstag oder sowas, ich weiß es nicht mehr genau, jedenfalls waren da Erwachsene und Kinder, und einige Kinder spielten draußen, und die Erwachsenen bewegten sich von da nach dort und passten auf uns auf. Der kleine Bruder meiner Freundin saß am Tisch in der Küche und wollte, dass ich ihm etwas aus einem Bilderbuch vorlesen sollte. Ich konnte mit fünf zwar schon ein bisschen lesen, ein paar Worte, jedoch keinen kompletten, fremden Text in einem fremden Buch und schon gar nicht flüssig. Aber ich hatte Lust, ihm etwas „vorzulesen“, ich fühlte mich groß und es gefiel mir besser, als draußen rumzutollen. Ich setzte mich also zu ihm an den Tisch und „las“ ihm die Geschichte vor. Er hörte gebannt zu. Auf einmal kam einer der Erwachsenen herein und ertappte mich.
So fühlte es sich an. Als ob er mich bei etwas Verbotenem ertappte, bei etwas Ungehörigem. Das war ja auch so. Ich betrog. Ich tat so, als könnte ich lesen und konnte es gar nicht. Ich hatte die ganze Geschichte, die ich vorgab zu lesen, einfach erfunden. Der Erwachsene wunderte sich über die Fünfjährige, die dem Vierjährigen aus einem Buch vorlas, sah sich das Buch genauer an und stellte meinen Betrug fest. Wie der Erwachsene reagiert hat, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch: Ich schämte mich entsetzlich. Dabei hatte ich nichts Schlimmes getan, ich hatte einfach nur etwas erfunden. Ich hatte meine erste Geschichte erfunden.
So fing alles an. Meine Leidenschaft, meine geheime Leidenschaft für Geschichten.
Geheim war es lange. Vielleicht gerade deshalb, weil ich beim ersten Mal dieses schlechte Gewissen hatte und weil es sich so unrecht anfühlte. Ich habe es also vorwiegend heimlich getan: Geschichten erfinden. So wie man eine Sünde heimlich begeht. Vielleicht ist es aber auch genau aus diesem Grund eine so große Leidenschaft geworden. Es hat immer ganz und gar mir gehört, es war ein Teil von mir, ohne dass ein anderer davon wusste, es kontrollieren oder beurteilen konnte.
Allerdings hat mir meine allererste Geschichte, die, die ich als Fünfjährige einem Vierjährigen erzählte, noch eine andere Erfahrung eingebracht: Nämlich, wie es ist, einen Zuhörer zu haben, Publikum. Geschichten zu erzählen fühlt sich einfach noch viel besser an, wenn es jemanden gibt, der zuhört. Oder der sie liest!
Leser! Publikum!
Man hat es in der Schule zwangsläufig, dieses Publikum, es nennt sich Lehrer und die verteilen Noten. Nicht unbedingt das geeignete Mittel, ein Kind oder einen Jugendlichen vermehrt zum Schreiben zu motivieren. (Oder zu Sport oder zur Kunst oder zur Musik. Aber das ist ein anderes Thema, bleiben wir bei meiner Geschichte.)
Ich war gut in der Schule. Also in Deutsch war ich gut. Es war mein Lieblingsfach und ich wollte gut darin sein. Aber nicht wegen der Noten. Ich wollte nicht, dass das, was ich schrieb einem Lehrer gefiel, nur einem einzigen Menschen sollte es gefallen, dann war alles gut. Ein einziger Mensch durfte lesen, was ich geschrieben hatte und durfte mir sagen, was er davon hielt: mein großer Bruder. Er war zwölf Jahre älter als ich und studierte damals Germanistik. Er war der belesenste und klügste Mensch, den ich kannte. Und der netteste, liebenswerteste, beste. Ihm zeigte ich jeden Schulaufsatz, jeden Hausaufsatz, und wenn mein Bruder es gut fand, dann war mir völlig egal, was der Lehrer dazu sagte oder welche Note dabei herauskam.
Von meinem Bruder habe ich schreiben gelernt.
Es gab dabei einen prägenden Moment, einen Tag, an dem sich alles entschied und an dem ich alles Notwendige lernte. Zumindest das Allerwichtigste.
Wir hatten einen Aufsatz als Hausaufgabe, ich war höchstens in der fünften Klasse, also war ich zehn oder elf, ein Kind eben. Aber ein Kind, das gern schrieb und das seinem großen Bruder gefallen wollte.
Es war eine Kurzgeschichte, die wir schreiben sollten, das genaue Thema weiß ich nicht mehr, irgendeine Situation in der Familie. Ich schrieb eine Geschichte und dachte, sie sei okay. Ich war zufrieden, hatte alles getan, was ich sollte und gab sie meinem Bruder zu lesen. Er gab sie mir zurück und meinte ehrlich, die Geschichte sei nicht so toll. So dahingeschrieben, ohne Emotion, langweilig. Halt ganz okay, aber nicht mehr. Man wolle ja nichts lesen, was „ganz okay“ sei, man wolle etwas lesen, das einen mitreiße.
Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen, ich setzte mich hin und schrieb alles neu. Besser, so glaubte ich, denn jetzt waren Emotionen drin oder das, was ich dafür hielt. Siegessicher und stolz auf meinen Ehrgeiz zeigte ich meinem Bruder den neuen Aufsatz. Der las ihn durch und meinte: Besser, aber noch nicht gut. Es käme nichts rüber, die ganze Geschichte, von der ich doch dachte, sie sei so emotional, bewege ihn nicht. Ich konnte es gar nicht fassen und verstand es nicht. Da erklärte er mir, was er meinte. Man müsse mich in der Geschichte spüren, mich, mein Beteiligtsein. Die Geschichte müsse sich echt und wahr anfühlen. Ich müsse auch meinen und empfinden, was ich schrieb. Es dürften nicht einfach nur Worte sein. Echt und wahr. Und ich mittendrin, nicht außerhalb.
Ich begriff, was er mir sagen wollte. Und ich begriff, dass es Mut brauchte, so etwas zu schreiben. Es war, wie von einer Klippe springen, um zu sehen, wie lange man fiel und wie sich der Aufprall und das Wasser unten anfühlten. Statt einen Stein hinunter zu werfen.
Ich setzte mich noch einmal hin. Es war nichts weiter als eine dämliche Hausaufgabe, aber ich schrieb sie ein drittes Mal. Es ging nicht um den Lehrer, es ging auf einmal auch nicht mehr um meinen Bruder – es ging um die Geschichte. Ich schrieb diese Familiengeschichte und war mitten drin, ich spürte, wie verletzlich ich wurde und wie die Geschichte ein Teil von mir und wie ich ein Teil der Geschichte wurde. Es wurde echt und wahr. Und als ich sie meinem Bruder gab, lächelte er am Schluss und sagte: Gut!
Ich habe diesen Moment damals verinnerlicht wie keinen anderen. Es war die wichtigste Lektion für mein Schreiben.
Mein Bruder starb 2003. Kurz darauf begann ich wieder zu schreiben, diesmal ernsthaft und mit dem wahnsinnigen, utopischen Ziel, endlich das zu werden, was ich immer schon sein wollte: Schriftstellerin. Veröffentlicht habe ich, als ich das Gefühl hatte, jetzt würde er sagen: Gut!