Solange sie tanzen

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Erschienen:
14. Mai 2019
Seiten: 368
Verlag: Tinte & Feder
ISBN: 2919809067

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Erscheint:
28. Juni 2021
Verlag Ullstein
Seiten: 384
ISBN: 9783548063089

Inhalt

Ada Friedberg ist eine alte Dame, die sich von nichts und niemandem unterkriegen lässt, nicht einmal vom plötzlichen Tod ihres über alles geliebten Mannes Hans. Sie vermisst ihn schmerzlich, aber sie muss sich schließlich um ihren Boxer Hemingway kümmern. Der Hund verleiht ihrem Alltag nicht nur Freude, sondern auch Struktur und Orientierung, was dringend nötig ist, denn Ada wird allmählich vergesslich und bringt immer mehr durcheinander.

Doch dann findet sie einen neuen Zeitvertreib, für den sie lediglich ein Fernglas und ihren gemütlichen Platz am Fenster ihres Wohnzimmers benötigt. Von dort aus beobachtet sie die Leute in ihrer Nachbarschaft. Als sie eines Tages beim abendlichen „Fernsehen“ in einem alten Haus ein tanzendes Paar entdeckt, erinnert sie dieser Anblick an die erste Zeit ihrer großen Liebe zu Hans. Abend für Abend kehrt sie nun zu den beiden Tänzern zurück. Während die Vergangenheit erwacht, verschwimmt die Gegenwart mehr und mehr, doch das tanzende Paar gibt Ada Halt. Solange sie tanzen …

Ein bewegender Roman über das Vergessen, die Erinnerung und die große Liebe über den Tod hinaus.

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Was ich noch dazu sagen möchte

Verschiedenes möchte ich noch sagen. Aber Vorwarnung: Es wird ein bisschen durcheinander gehen.
Es gibt nur ganz wenige Seiten von Solange sie tanzen, die ich lesen kann, ohne Tränen zu vergießen. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das Buch schreiben konnte. Ich weiß nur noch, ich hatte oft Kopfschmerzen, weil ich zu wenig getrunken habe – und zu viel geheult. Ich leide eben mit. Immer.

Wenn meinen Hauptfiguren etwas Komisches passiert, dann lache ich mich schlapp, wenn sie wütend sind, sollte man sich mir lieber nicht nähern, wenn sie leiden, dann leide ich auch. Das geht anderen Autoren auch so. Mir hat mal eine Kollegin erzählt, dass sie immer anfängt zu frieren, wenn es in ihren Romanen Winter ist und besonders kalt, selbst wenn sie sich mit ihrem Schreibtisch gerade in einem warmen Zimmer befindet und/oder hochsommerliche Temperaturen herrschen. Autoren fühlen mit ihren Figuren.
Mit Ada habe ich deshalb so sehr mitgefühlt, weil sie mir näher war als alle anderen Figuren, die ich bisher kreiert habe – und ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen: auch Ada ist eine fiktive Figur, die meiner Fantasie entsprungen ist. Aber diese Fantasie wurde entfacht durch einen Menschen, der ein sehr ähnliches Schicksal hatte wie Ada und den ich dabei begleitet habe: meine Mutter.
Meine Mutter war in ihren letzten Lebensjahren dement, in ihren letzten anderthalb Lebensjahren schwer dement. Dem kleinen Mädchen, das bei uns so häufig mit am Tisch saß und das nur meine Mutter sehen konnte, habe ich in Solange sie tanzen in einer Szene ein Denkmal gesetzt, ganz beiläufig. Wie Ada hat auch meine Mutter unter dem Verlust meines Vaters gelitten. Wie Adas Kinder konnten auch wir Kinder, die innige Beziehung unserer Eltern nicht richtig einschätzen – erst hinterher. Und vieles andere, viele Erfahrungen, viele Beobachtungen, viele Gedanken aus der letzten Zeit mit meiner Mutter sind in das Buch eingeflossen. Und noch eine Parallele zu Ada gibt es: jeden Abend, wenn sie zu Bett geht, nimmt Ada Hans‘ allerersten Brief zur Hand und liest ihn. Auch für meine Mutter waren die Briefe meines Vaters von früher die Verbindung über den Tod hinaus.

Es gibt also tatsächlich viele Parallelen, und doch ist es Adas ganz eigene Geschichte, losgelöst von allem, was ich mit meiner Mutter erfahren und erlebt habe. Es ist keine Verarbeitungsliteratur, es ist ein Roman. Es ist die Geschichte der Liebe zwischen Ada und ihrem Mann Hans.
Ich habe manchmal Schwierigkeiten mit dem Begriff Liebesroman und winde mich ein bisschen, aber diesmal nicht. Wenn ich je einen Roman geschrieben habe, der die Bezeichnung Liebesroman verdient, dann Solange sie tanzen.
Wie schon in Versuchen wir das Glück verfolgt man das Leben der beiden auf zwei Zeitebenen: in der Vergangenheit vom ersten Kennenlernen über die schwierigen ersten Jahre, in denen sie ihre Beziehung geheim halten mussten, ihr persönliches Happy End, das gemeinsame Leben bis hin zu Hans‘ Tod. Und in der Gegenwart begleitet man Ada bei ihrem Weg ohne Hans, erlebt, wie sie den Lebensmut behält, wie sie sich um ihren Boxer Hemingway kümmert, das Leben mit einem Augenzwinkern betrachtet, ein neues Hobby für sich findet – ein eher ungewöhnliches, aber was soll’s – und wie sie kämpft, erhobenen Hauptes, so wie immer schon. Ada ist eine durch und durch starke Frau und sie bleibt es bis zuletzt, denn, auch wenn er in der Gegenwartshandlung nicht mehr lebt, ist Hans immer präsent, immer bei Ada, in jedem Augenblick ihres Lebens. Wenn sie sich mit ihrem neuen Nachbarn Herrn Lenz anfreundet, wenn sie mit ihm noch einmal in die Oper geht, wenn sie nach  langer Zeit wieder einmal ihre beste Freundin Marlene besucht, wenn sie auf der Bank vor dem alten Haus sitzt, das ihr und Hans immer so gut gefallen hat, dann ist Hans bei ihr.
Und wenn sie das tanzende Paar hinter ihrer Fensterscheibe beobachtet, dann lebt die Vergangenheit wieder auf und es ist als dürfte sie durch die beiden alles noch einmal erleben.
Das tanzende Paar …
Das war meine zweite Inspirationsquelle. Das tanzende Paar in meiner Nachbarschaft. Die gab es wirklich, und ich habe sie früher ab und zu gesehen, wenn unser Hund sein letztes Abendpipi erledigen musste. Da waren sie und haben getanzt, in einem hell erleuchteten Zimmer einer Erdgeschosswohnung hinter einem Fenster ohne Vorhang oder Rollo, als wäre es eine Einladung, ihnen zuzusehen. Und ich dachte mir: Wie schön! Die sehen nicht fern oder lesen oder unterhalten sich oder was auch immer man so am Abend macht. Nein, diese beiden haben getanzt. Und während mein Hund sich erleichterte, habe ich beschlossen, eines Tages ein Buch zu schreiben, in dem dieses tanzende Paar vorkommen würde. Und das habe ich getan.

(...) Ada schob langsam den Kinderwagen vor sich her und träumte, während sie die Häuser betrachtete. Und dann entdeckte sie es. Ein Haus, das anders war als all die anderen: älter, schöner, einsamer. Wie eine vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografie inmitten einer Reihe bunter Farbfotos stach es unter den übrigen Häusern hervor. Der Garten war verwildert, das Holz der Fensterrahmen morsch, das Glas der Fenster trüb und verschmutzt, die Fassade grau und an vielen Stellen überwuchert von wildem Efeu. Verwunschen sah es aus, vergessen, verlassen. Es war, als erzählte es eine Geschichte.
Ada und Hans blieben gleichzeitig stehen.
»Ist das nicht schön?«, entfuhr es Ada aus tiefstem Herzen.
»Traumhaft!«
»Denkst du, da wohnt jemand?«
»Sieht nicht so aus.«
»Vielleicht gehört es gar keinem.«
»Irgendjemandem gehört es ganz sicher.«
»Wie kann man so etwas Schönes leer stehen lassen?« Ada schob den Kinderwagen zu einer Bank, die im Park direkt gegenüber dem Haus stand, und setzte sich hin, während sie den Wagen sachte schaukelte, damit das schlafende Baby nicht aufwachte. Hans ließ Oscar von der Leine, Susanne sprang ihrem Hund hinterher und rannte mit ihm über die Wiese.
»Nicht zu weit weglaufen!«, rief Hans ihnen nach, dann ging auch er zu der Bank. Abwechselnd betrachtete er das alte Haus und Adas sehnsuchtsvollen Blick dorthin, bevor er sich neben sie setzte.
»Woran denkst du?«, fragte Ada, die sein Zögern bemerkt hatte.
»An James Stewart.«
»Was?« Sie lachte auf. »Wieso das denn?«
»Na, wegen diesem Film, in dem er mit seiner Freundin dieses alte, verfallene Haus entdeckt, einen Stein reinwirft und sich wünscht, einmal dort zu leben.«
»Ist das Leben nicht schön?«
»Genau.«
»Unser Leben ist auch schön, Hans.«
»Ich weiß.« Mit ausgestrecktem Finger zeigte er auf das Haus. »Stell dir vor, da unten hinter dem kleinen Fenster im Erdgeschoss, da könntest du ein Nähzimmer haben, mit genügend Platz für deine Entwürfe und deine Utensilien. Du müsstest nicht immer alles wegräumen. Du könntest es liegen lassen und am nächsten Tag einfach weitermachen.«
»Und du hättest ein großes Arbeitszimmer.«
»Die Kinder und der Hund hätten den Garten.«
»Wir könnten Sonnenuntergänge von der Terrasse aus beobachten.«
Zögernd wandte er sein Gesicht zu ihr. »Man könnte versuchen herauszufinden, wem das Haus gehört.« Eine tollkühne Idee, auf verzagte Weise geäußert. Ada lächelte zärtlich und strich ihm mit dem Handrücken über die Wange, wie sie es bei Susanne manchmal tat, wenn sie ihr einen Wunsch nicht erfüllen konnte.
»Wie willst du das denn herausfinden? Und selbst wenn, könnten wir uns das niemals leisten.«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, gab Hans zu und seufzte. »Ich würde dir auch gern ein altes Haus schenken. So wie James Stewart.«
Ada legte ihren Kopf an seine Schulter. »Der Gedanke zählt. Ich stelle mir ganz einfach vor, du hättest es getan, und wir erklären das Haus ab jetzt einfach zu unserem Haus.«
Oscar bellte, und Susanne quietschte vor Vergnügen. Sie hatte einen Stock gefunden, den sie unermüdlich warf und den Oscar brav immer wieder brachte. Mit Bellen forderte er sie dann zum erneuten Werfen auf, obwohl der Stock höchstens ein paar Meter weit flog. Hans lief zu ihr über die Wiese.
»Papa, Papa!«, rief Susanne. »Wirf du mal, du kannst weiter!« Und als Hans den Stock warf und dieser so weit flog, dass Oscar zu einem weiten Galopp durch das Gras ansetzen musste, hüpfte Susanne jubelnd auf und ab. Ihr Papa, der Held, der einen Stock so weit werfen konnte wie sonst keiner. Bis in den Himmel hinein, einmal um die Erde herum. So weit, dass der Hund ganz außer Atem kam.
»Noch mal!«, verlangte das Kind, hüpfend wie ein Flummi, und Hans tat ihr den Gefallen, so oft sie wollte. Alles hätte er für seine Liebsten getan.
(…)

© 2019 *Barbara Leciejewski*

LESEPROBE

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